Krieg in der Ukraine – Kündigungsrecht des Versicherers bei „Gefahrerhöhung“?

Von Ralph Hofmann-Credner, HOFMANN-CREDNER Rechtsanwalts GmbH

In unserem letzten Beitrag haben wir dargestellt, welche Maßnahmen Versicherungsnehmer und Versicherer aufgrund des aktuellen Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine jeweils ergreifen sollten, um Schäden, die vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sein könnten von den sogenannten „Nichtkampfschäden“ differenzieren zu können.

Der vorliegende, zweite Beitrag zu den möglichen Auswirkungen dieses Krieges auf Versicherungsverträge nach österreichischem Recht beleuchtet die Frage, ob darin eine solche Gefahrerhöhung liegt, die einen Versicherer zur Auflösung des somit womöglich ungewollt gewordenen Vertragsverhältnisses berechtigen könnte.

Regelung der „Gefahrerhöhung“ durch das Versicherungsvertragsgesetz

Die Regelungen in Zusammenhang mit der versicherungsrechtlich relevanten Gefahrerhöhung und den Rechtsfolgen enthalten die §§ 23-30 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG).

Demnach berechtigt eine nach Vertragsabschluss und unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eintretende Gefahrerhöhung den Versicherer gemäß § 27 Abs 1 VersVG das Versicherungsverhältnis innerhalb eines Monats ab Kenntniserlangung zu kündigen. Die Kündigungsfrist beträgt aber 1 Jahr, wenn die Gefahrerhöhung durch allgemein bekannte Umstände, die nicht nur auf die Risiken bestimmter Versicherungsnehmer einwirken, verursacht wurde. In einem solchen Fall, wofür Abs 3 beispielhaft die Änderung von Rechtsvorschriften anführt, trifft den Versicherungsnehmer auch nicht die unverzügliche Anzeigepflicht.

Während letzteres offensichtlich dem Bedürfnis der Versicherungswirtschaft mit Blick auf ihre Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherungsbedingungen geschuldet sein dürfte, hat der Gesetzgeber in den Materialien zur Einführung des § 27 Abs 3 VersVG ausdrücklich festgehalten, dass diese Neuregelung über bloße Änderungen von Rechtsvorschriften hinaus auf alle allgemein bekannten Gefahrerhöhungen ausgedehnt wird, damit die Versicherer hinreichend Zeit haben, die Auswirkungen dieser Gefahrerhöhung auf das gesamte Risiko der betreffenden Versichertengemeinschaft zu prüfen.

Voraussetzung für eine solche Kündigung durch den Versicherer aufgrund des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine am 24.02.2022 ist also jedenfalls, dass darin eine die Kündigungsmöglichkeit auslösende Gefahrerhöhung liegt.

Ist durch Krieg automatisch eine Gefahrerhöhung gegeben?

Worin eine „Gefahrerhöhung“ liegt, definiert der Gesetzgeber nicht. Nach der Rechtsprechung des OGH ist es ein Gefährdungsvorgang, der seiner Natur nach geeignet ist, einen neuen Gefahrzustand von so langer Dauer zu schaffen, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Schadensverlaufes bilden kann und damit den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern geeignet ist.

In der Folge wird auf eine Kündigungsmöglichkeit jener Versicherungsverhältnisse eingegangen, die vor dem 24.02.2022 bestanden haben und wo der Versicherer aufgrund einer Niederlassung, einer Betriebs- oder Produktionsstätte oder einer Investition eines österreichischen Unternehmens auch bereits im Risiko war.

Davon zu unterscheiden sind die Rechtsfolgen im Falle einer willkürlichen Erhöhung der Gefahr durch den Versicherungsnehmer. Eine solche könnte in Zusammenhang mit dem Krieg – zumindest denkmöglich – dann vorliegen, wenn ein österreichisches Unternehmen nach dem 24.02.2022 begonnen hätte, in der Ukraine entsprechend tätig zu werden und ein Versicherungsvertrag, der dieses Risiko grundsätzlich mitdecken würde, bereits zuvor bestanden hätte.

Denn nach Vertragsabschluss darf der Versicherungsnehmer ohne Einwilligung des Versicherers eine Gefahrerhöhung nicht vornehmen, andernfalls der Versicherer gemäß § 24 VersVG das Versicherungsverhältnis ohne Einhaltung einer Frist kündigen darf. Unter „Vornehmen“ wird in diesem Zusammenhang vom OGH eine nicht unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eintretende Gefahrerhöhung verstanden.

Es liegt keine OGH-Rechtsprechung dazu vor, ob ein Krieg eine vom Willen des Versicherungsnehmers unabhängige Gefahrerhöhung darstellt. Eine österreichische Literaturmeinung vertritt diese Auffassung unter Hinweis auf Rechtsprechung und Literatur in Deutschland betreffend die Terrorgefahr nach dem 11.09.2001 und die Sportveranstaltungs-Ausfallsversicherung. Es sprechen wohl gute Argumente dafür, dass ein Krieg – sofern darin eine Gefahrerhöhung liegt – ein vom Willen des Versicherungsnehmers unabhängig eintretendes Ereignis darstellt.

Ob der Angriffskrieg seit Februar 2022 aber nun eine Gefahrerhöhung für einen oder mehrere bestimmte Versicherungsverträge darstellt und nicht von der vom Versicherer übernommenen Gefahrtragung umfasst sein könnte, ist im Einzelfall anhand des Wortlautes der konkreten Versicherungsbedingungen zu beurteilen.

Initiative zur Evaluierung beim Versicherer

Da die Beweislast für das Vorliegen einer Gefahrerhöhung den Versicherer trifft (OGH 12. 12. 1985, 7 Ob 46/85 mN), wird dieser zunächst die entsprechende Evaluierung vornehmen und sinnvoller Weise dem Versicherungsnehmer mitteilen, bevor er versucht, ein Versicherungsverhältnis gemäß § 27 Abs 3 VersVG zu kündigen.

Somit dürften die Versicherungsnehmer spätestens bis zum 01.03.2023 – dann wird aufgrund der intensiven Berichterstattung auch in den österreichischen Medien die Jahresfrist des § 27 Abs 3 VersVG wohl in den meisten Fällen abgelaufen sein – auf eine schriftliche Begründung des Versicherers warten, um Klarheit darüber zu erhalten, ob der Versicherer im aktuellen Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine eine entsprechende Gefahrerhöhung erblickt. Ob die Argumente des Versicherers überzeugen, sollte der Versicherungsnehmer anschließend überprüfen.

Dr. Ralph Hofmann-Credner M.B.L.-HSG hat mehr als 20 Jahre Berufserfahrung mit Streitbeilegung und allen Formen von Versicherungsstreitigkeiten, insbesondere in der Beratung von Risikoträgern, Finanzinstitutionen und Firmenkunden in komplexen, mehrseitigen und länderübergreifenden Sachverhalten und Gerichtsverfahren. Er verfügt des Weiteren über Arbeitserfahrung in den Vereinigten Staaten und in der CEE/SEE-Region, hat ein ausgeprägtes Verständnis vom Londoner Versicherungsmarkt, sowie hochspezialisiertes Wissen über ein breites Spektrum der Spezialversicherungsprodukte und fakultative Rückversicherungsverträge. Ralph Hofmann-Credner wird als Lead- und Local-Counsel für Monitoring-Rollen eingesetzt, berät zu allen Arten von Versicherungsprodukten, er- und überarbeitet und vereinfacht Versicherungsbedingungen, und unterstützt Mandanten im Bereich Compliance und Corporate House Keeping. Dr. Hofmann-Credner ist in Österreich als Rechtsanwalt zugelassen, (nicht praktizierender) Solicitor in England und Wales, Lloyd’s Hauptbevollmächtigter für Österreich, langjähriger Universitätslektor für Versicherungsrecht sowie Gründer und Eigentümer der HOFMANN-CREDNER Rechtsanwalts GmbH.

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